Sonderaufsichtsbeschwerde an den Landrat

Gemeinsam mit der „Brühler Initiative zur Völkerverständigung“ richtete die Stadt Brühl am 9.11.2020 eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Opfer der Reichspogromnacht aus.

Die Veranstaltung beinhaltete Reden und musikalische Darbietungen. Sie wurde auf dem Facebook-Kanal der Stadt Brühl übertragen und ist dort noch immer abrufbar.

Im Rahmen seines Redebeitrages äußerte sich Bürgermeister Dieter Freytag wie folgt (Minute 13:46):

„Eine Partei, die inzwischen auch im Brühler Rat vertreten ist, bereitet durch ihre offenen rassistischen und judenfeindlichen Äußerungen den Boden für Antisemitismus und Rassismus. Es mag sein, dass nicht alle AfD-Mitglieder Antisemiten und Rassisten sind. Es muss ihnen aber klar sein, dass sie durch ihre Mitgliedschaft und ihr Mittun ein System unterstützen und stärken, das mitverantwortlich ist für die Ausbreitung von Rassismus und Antisemitismus. Aus Gedanken und Worten werden Taten. Gewalttaten.“

Die AfD-Fraktion im Rat der Stadt Brühl erachtet diese Äußerungen des Herrn Bürgermeisters für rechts- und verfassungswidrig sowie unvereinbar mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die auch auf kommunale Wahlbeamte Rechtsanwendung finden.

Die AfD-Fraktion Brühl hält es daher für geboten, dass Sie im Wege der allgemeinen Aufsicht des Landes gem. §§ 119 Abs. 1, 120 Abs. 1 GO NRW einschreiten. Herr Bürgermeister Freytag gefährdet durch sein Gebaren, dass die Stadt Brühl „im Einklang mit den Gesetzen verwaltet wird.“

Zur Begründung im Einzelnen:

  1. Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht

Der liberale Verfassungsstaat lebt vom freien Diskurs. Er schafft Räume der Debatte, die es dem Bürger ermöglichen, seinen politischen Willen frei zu bilden. Es ist dem Staat und seinen Einrichtungen daher untersagt, seine Machtstellung zur einseitig politischen Beeinflussung dieses Willensbildungsprozesses zu missbrauchen. Der moderne demokratische Staat als „Heimstatt“ aller Bürger, den das Grundgesetz konstituiert, identifiziert sich nicht mit ausgewählten politischen Parteien, sondern offenbart sein freiheitliches Gepräge gerade in der prinzipiellen Unvoreingenommenheit gegenüber allen ideologischen Strömungen (s., BVerfGE 108, 282, 299).

Wenn sich Staatsorgane wertend gegenüber politischen Parteien positionieren, greifen sie in den von staatlichen Einflüssen im Grundsatz freizuhaltenden Willensbildungsprozess des Volkes und den Wettbewerb der Parteien ein (s., BVerfGE 44, 125, 146).

Handlungen von öffentlichen Organen, so auch solche des Bürgermeisters, berühren damit auch die in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art 21 Abs. 1 S. 2 GG geschützte Chancengleichheit der Parteien und die Freiheit der Wahl.

Aus der in Art. 1 Abs. 1 GG angelegten Respektierung des Menschen als mündiges und freies Individuum folgt die prinzipielle Offenheit des Staates gegenüber allen politischen Ideologien (vgl. insbesondere für die religiöse Unvoreingenommenheit BVerfGE 41, 29, 63).

Der Staat des Grundgesetzes muss nicht wertneutral oder inhaltsleer sein, allerdings bleibt ihm eine gezielte Bewertung politischer Parteien oder parteipolitische Beeinflussung versagt.

Herr Freytag nutzte die Gedenkveranstaltung zur Agitation gegen die Brühler AfD-Fraktion sowie die AfD als Partei. Er instrumentalisierte seine Amtsstellung als Oberhaupt der Stadt, um kämpferisch gegen Mandatsträger und Mitglieder einer anderen Partei auszuteilen und diese als „Antisemiten und Rassisten“ zu diskreditieren, die letztlich sogar den Nährboden für „Gewalttaten“ bereiten würden.

Sein Handeln ist darauf ausgerichtet, in den politischen Willensbildungsprozess unter Ausnutzung seiner Amtsstellung als Bürgermeister einzuwirken und diesen zulasten der AfD zu beeinflussen. Herr Freytag trat nicht als Parteipolitiker auf, sondern als kommunaler Wahlbeamter der Stadt Brühl. Zur Übertragung seiner Rede wurde zudem der städtische Facebook-Kanal benutzt. Mithin kann er sich daher auch nicht auf sein Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen.

  1. Verstoß gegen die politische Treuepflicht

Die politische Treuepflicht verpflichtet den Beamten, sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Einhaltung einzutreten (s. Jarass/Pieroth, Art. 33, Rn. 60). Sie verpflichtet den Beamten zur politischen Mäßigung und Verfassungstreue. Die politische Treuepflicht betrifft sowohl das dienstliche wie das außerdienstliche Verhalten. Vom Beamten wird verlangt, sich mit der Verfassung zu identifizieren (ebda.).

Hierzu gehört auch eine Identifikation mit der staatlichen Neutralitätspflicht und dem Gebot der parteipolitischen Zurückhaltung von Staatlichkeit. Denn Neutralität dient auch immer staatlicher Stabilität. Nur wenn sich Staatsorgane gegenüber den Bürgern neutral verhalten, werden sie auf Akzeptanz und Respekt stoßen. Bürger dürfen nämlich nicht den Eindruck gewinnen, der staatliche Entscheidungsprozess sei in irgendeiner Form von fremden Bewertungsmaßstäben beeinflusst.

  1. Verstoß gegen das Mäßigungs- und Sachlichkeitsgebot

Gem. § 33 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz sind auch Kommunalbeamte verpflichtet, „diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.“  Auch dieses Gebot hat Herr Freytag durch seine streitgegenständlichen Äußerungen verletzt. Auch die Brühler AfD-Fraktion distanziert sich von Antisemitismus und Rassismus. Die AfD als Partei tritt für den Schutz jüdischen Lebens in Europa ein. Ihre Bundestagsfraktion beantragte jüngst die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels.

Die AfD ist kritikfähig und auch bereit, im Diskurs über eigene Fehler zu diskutieren. Unsere Fraktion wird es aber nicht akzeptieren, wenn sie in den Kontext von Gewalttaten und Menschenfeindlichkeit gerückt wird. Herrn Freytag kam es gerade nicht auf eine allgemeine Sensibilisierung der Bürger unserer Stadt an, Antisemitismus entgegenzutreten, sondern es ging ihm um eine pauschale Diffamierung der Opposition.